20. Juni 2016

"Es gibt viele Carlos in unserer Gesellschaft"

Der sich selbstbescheiden gebende Gast des 175. Talks resümierte mit diesen Worten im Bocksaal eine Veranstaltung, die es so noch nicht gegeben hat. Denn als Adoptivvater zweier Söhne, deren Mütter von ihren leiblichen Vätern ermordet wurden, hatte der frühere Polizist Carlos Benede den 27-jährigen Alex dabei, der in der zweiten und der dritten Gesprächsrunde mit am Tisch saß. Und was der zu erzählen wusste, bestätigte des Moderators Andreas Müller einleitende Ankündigung einer Geschichte, die in ganz besonderer Weise berühren werde. Manch einem Besucher standen die Tränen in den Augen.

Die Saalspende des Publikums im gut besuchten "Bock" erbrachte 825 Euro. Sie gehen an den Dachauer Verein "Jugendhilfe Weitblick". Er bietet am Rande der Gesellschaft stehenden Jugendlichen das dringend benötigte Obdach.

Der im Allgäu bei Oberstaufen geborene, jetzt 53-jährige Carlos Benede blickt selbst auf eine sehr schöne Kindheit zurück, die ihm die Dillinger Franziskanerinnen, die "Tag und Nacht für uns da" waren, geboten haben. Dies und die Tatsache, dass er mit Alex damals einen elfjährigen Jungen vorfand, der "ganz allein auf sich gestellt" war, "von heute auf morgen ganz alleine dastand", waren für ihn die Motivation, sich bei Alex "unbewusst ganz besonders ins Zeug gelegt" zu haben. Auch glaubt er aus heutiger Sicht fest daran, dass sein persönlicher Weg vorgegeben war. "Glaube spielt für mich eine wichtige Rolle", sagt er, trotz der Probleme, die er mit der Amtskirche habe.

Ganz wichtig ist für Benede, Kindern beizubringen, dass man ihnen ja nur helfen will, dass hinter der Polizeiuniform ja auch ein Mensch steckt, der es wirklich gut meint mit ihnen. Und dass er mit Alex gleich mit Blaulicht zur Eisdiele gerauscht ist, das hat auf den Elfjährigen mächtig Eindruck gemacht. Jeder im Saal spürte: Zwischen Vater und Sohn und umgekehrt besteht ein echt inniges Verhältnis, das auf tiefem wechselseitigen Vertrauen gründet. Nach der Mordtat an seiner Mutter, die er als "wunderbare Frau" in Erinnerung hat, die alles für ihn getan habe, stand er mit jedem Polizisten noch auf Kriegsfuß. Polizei war "rotes Tuch" für ihn. Sie war nicht in der Lage, Mama zu retten.

Vom Moderator gefragt, ob seine Erziehung durch Carlos streng gewesen sei, diese aufschlussreiche Anekdote: Alex war mit einem Kumpel von einer Sommerparty in einem Park ausgebüchst, um sich als 16-Jähriger auf der Tanzfläche einer Disco tänzerisch mit einer 25-Jährigen zu vergnügen. Vater Carlos jedoch inszenierte ein nachhaltig abruptes Ende. Auf der Tanzfläche langte er Alex Eine, beförderte ihn unsanft an die frische Luft, um ihm zu sagen: "Jetzt kannst selber schau'n, wie du nach Hause kommst".

2005 ereignete sich erneut ein solcher Mordfall. Mit der Folge, dass dieses Mal ein erst dreijähriges Kind völlig hilflos alleine dastand. Eine Woche habe es gedauert, bis das Jugendamt zum ersten Mal da war. Inzwischen war die Zuneigung bereits so groß, dass es der jetzt 16-jährige Alex war, der Vater sagte: "Du, jetzt brauchst ihn auch nicht mehr herzugeben". Von seinen eigenen Erfahrungen ausgehend, erntete Carlos Benede großen Beifall, als er mit Nachdruck äußerte: "Ich hab größten Respekt vor jeder alleinerziehenden Mutter, vor jedem alleinerziehenden Vater".

Zum nächsten Talk am 25. Juli erwartet Andreas Müller im Bocksaal den vom Fernsehen bekannten Fachmann für Terrorismus, den Journalisten Holger Schmidt.