18. April 2023

Aus des Wahnsinns Fängen befreit und wieder gesund

Der von Nina Poelchau vorzüglich einfühlsam und gefühlvoll moderierte 214. Talk im Bock stand wie die vorletzte Veranstaltung mit Dr. Christian Peter Dogs, der sich unter den rund 150 Besuchern im fast vollbesetzten Bocksaal befand, erneut im Zeichen eines Themas aus der Psychiatrie. Zu Gast war der Psychiatrie-Patient Klaus Gauger. Vor gut zwanzig Jahren erkrankte er urplötzlich an Schizophrenie. Heute ist er wieder gesund. Die Saalspende erbrachte 740,65 Euro. Nach dem Willen des Gastes geht das Geld nach München an BASTA, das Bündnis für psychisch erkrankte Menschen, das deutschlandweit Anti-Stigma-Arbeit leistet.

 

Im einleitenden Kurzfilm kam auch der Psychiater Manfred Lütz zu Wort, der im November 2019 in der Festhalle TiB-Gast von Moderator Joachim Rogosch war. Er schrieb auch das Vowort zum Buch von Klaus Gauger. Es trägt den Titel "Meine Schizophrenie" und ist im Freiburger Herder-Verlag inzwischen in zweiter Auflage erschienen. Es bietet nach den Worten des Sohnes eines Freiburger Romanistik-Professors die einmalige Chance, "hinter die Kulissen" der Krankheit zu schauen.

 

Moderatorin Poelchau gab willkommene Sachinformationen zur Krankheit. Zum Beispiel, dass 1 Prozent der Deutschen unter dieser Stoffwechselstörung des Gehirns leidet. Bei Männern ist vor allem die Altersgruppe von 20 bis 29 Jahren betroffen, bei Frauen sind es ältere Jahrgänge. Mit 14 Prozent ist die Quote bei Obdachlosen besonders erschreckend hoch. Dazu war zu erfahren, dass der Mangel an Krankheitseinsicht krankheitsbedingt sei. Gauger, der glücklicherweise in Nordspanien einen Psychiater fand, der ihn medikamentös aus dem Wahn zu holen verstand, kritisiert, dass die Rechtsprechung in Europa "überhaupt nicht harmonisiert" ist. So  müsse hierzulande schon sehr Schlimmes passieren, bis eine Zwangsbehandlung möglich wird. Er selbst outete sich als "Verfechter der Zwangsbehandlung", bevor sich ein Kranker selbst "an die Wand fährt". Es stellen sich Fragen wie diese: Gibt es eine Alternative zur Zwangsbehandlung? Oder: Ist es gut, dass "Menschen so weit runterkommen, dass sie hilflos im Dreck auf der Straße liegen?" 

 

"Allerhand durchgemacht" zu haben ist Gaugers vielsagende Aussage zu seiner von 1994 bis 2014 dauernden 20-jährigen Krankheitsgeschichte, die sich im Alter von Anfang 20, als er in einer Band musizierte, erstmals 1992 andeutete. Mit seiner Freundin auf Reisen nach Madrid sei er dort "depressiv abgestürzt". Dadurch kam es zur Trennung von ihr. Völlig zusammengebrochen sei er, erinnerte er sich, 1994, als der zuvor in einer WG Wohnende bei den Eltern wohnte. Er lebte in der Wahnvorstellung festen Glaubens an ein offenes Gehirn, aus dem seine Gedanken nach außen zu anderen Mitmenschen weitergetragen werden. Wegen der Furcht vor Nebenwirkungen lehnte er Medikamente instinktiv ab. Im Nachhinein, zeigte er sich überzeugt, war das ein Fehler.

 

Störungen seiner Augen verhinderten die Fähigkeit zu lesen. Der Konsum von täglich vier Schachteln Zigaretten potenzierte solche Störungen. Andere, nicht zu unterschätzende Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, ständige Müdigkeit, sexuelle Funktionsstörungen. Seine Diagnose sei für ihn nur aus den Rechnungen ersichtlich geworden. Richtig dramatisch wurde es für ihn 2006, als sich in ihm das Gefühl festsetzte, ständig intensiv beobachtet zu werden. Auf einer großen Reise rund um die Welt, entwickelte er das Gefühl, dass "ein Netzwerk mein Gehirn kontrolliert". Psychotherapien erwiesen sich als fruchtlos. Aus Sorge, dass ihr Sohn der Polizei in die Hände fallen könnte, schickten ihm die Eltern, die "hellauf verzweifelt" waren, Geld nach San Francisco. Das südliche Nachbarland Mexiko mied er wegen der dortigen Drogenkartelle und der durch und durch korrupten Polizei. 

 

In Spanien verhalf ihm die Spritze mit neuem Wirkstoff aus dem Schlammassel heraus. Nach drei Wochen war dann alles wieder "in Butter". Heute verdingt sich der Gast als Genesungshelfer, der im Prozess der Genesung unterstützend mitwirkt. Aus Dankbarkeit für alles, was die Eltern im Lauf der langen Jahre für ihn getan haben, kümmert sich der Genesene inzwischen um seine alten und kranken Eltern. Der damals, als er vor acht Jahren gesundete, 50-Jährige machte keinen Hehl daraus, dass das Thema Familiengründung keines mehr ist. Heute zeigt sich der Gast mit seinem Leben zufrieden, wenngleich er einräumt, in den Anfängen wegen Depressionen vieles versäumt zu haben. Sein Leben biete auch wirklich gute Momente, schmunzelt er, so "wie heute hier"! Herzhaft schönes Lachen im Saal.