08. Oktober 2024

Die etwas andere "First Lady"

Der unten vor dem Bocksaal geparkte monumentale elektrische Audi Q8 mit S-Kennzeichen verriet, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine "bessere Hälfte" per Dienstwagen aus dem "fernen" Laiz bei Sigmaringen zum 224. Talk im Bock, den Karl-Anton Maucher moderierte,  nach Leutkirch ankarren ließ. Oben im Bocksaal tummelten sich knapp hundert Besucher, die 907 Euro und einen Cent in die Spendenkasse spülten. Gerlinde Kretschmann verfügte, dass das Geld der Leutkircher Kinderhilfe Magita zugute kommt.

 

Die 1947 geborene Gattin des Landesvaters studierte nach dem Abitur auf Lehramt. Vier Jahre verbrachte sie in der Grundschule von Laiz. Dieses Lehramt übte sie bis zu ihrer Pensionierung aus. Im einleitenden Kurzfilm wurde Frau Kretschmann als ausgesprochen bodenständig dargestellt. Sehr hilfsbereit versuche sie selbstverständlich immer helfend einzugreifen, wenn sich zeigt, dass irgendwo Not am Mann ist. Mit dem Ehrenämtern ihrer sechs Geschwister aufgewachsen, ist solche Tätigkeit tragender Bestandteil ihrer persönlichen Lebensführung. Volle 15 Jahre war sie im Stadtrat der Residenz- und Kreisstadt Sigmaringen tätig, einem Organ, das selbst den Bürgermeister überstimmen konnte. Mit Genugtuung äußerte sie dazu: "Da hat man dann so richtig Macht". Den Begriff Macht schwächte sie dann ab, indem sie von Einfluss sprach, den man sonst nicht habe. Der neu gewählte Bürgermeister gab sich stocksauer, als die Rätin sagte: "Der ist neu im Amt, muss also erst noch dazu lernen". Und: "Einfach so hintenrum, das ist ja auch kein Stil".

 

Was Frau Kretschmann gar nicht mag, das sind Termine politischer Art. Pro Woche nehme sie nicht mehr als drei Termine wahr. Diese Woche stehen zwei Stuttgart-Termine an, einmal bei der Diakonie, und das Weinfest in Laiz: "Heiah, wir trinken auch Wein!" Die Winzer in den Weingegenden könnten ihren Wein ja nicht einfach selbst trinken.

 

In den ersten vier Grundschuljahren sei bei ihr jeden Tag gesungen worden. Mit großem Bedauern bemängelt sie, dass das heutzutage fast gar nicht mehr der Fall sei. Wenn eine werdende Mutter mit dem Kind im Leib singe, habe eine Stiftung herausgefunden, dann nehmen die ungeborenen Babys den mütterlichen Gesang schon im Mutterleib auf. Mit Enkel Julius habe Oma Gerlinde ganz viel gesungen. Als der zehn Lieder konnte, kam plötzlich sein nein. Vermutlich habe ihm da jemand "blöde reingeshwätzt".

 

Nächstes Jahr feiern die Kretschmanns ihr 50. Ehejubiläum. 50 Jahre und noch immer mit dem gleichen Mann, amüsiert die Ehefrau das Saalpublikum. Sie war aus der katholischen Kirche aus-, später aber doch wieder eingetreten. Was sie ärgerte, war, beichten zu müssen "ich war unkeusch". Dabei wusste sie nicht einmal, was das ist. Andere konnten auch nicht sagen, was unkeusch eigentlich bedeutet. So habe sie das Beichten wirklich sehr gehasst.

 

"Nix" antwortete sie auf Mauchers Frage, was sie mit dem Attribut Landesmutter anfangen kann. Mehr als drei Kinder, die sie ihr eigen nennen kann, wolle sie einfach nicht. Die Frage, ob sich das komisch anfühlt, durch ihren Mann prominent geworden zu sein, beaantortet sie mit einem kurzen und zweifelsfreien Ja. Was die flüssige Nahrungsaufnahme am Talkertisch angeht, lässt sie sich wie Moderator Maucher auch von einer Flasche Härle-Bier erfreuen. Es schäumt gar schön, wenn Härles Biere schäumen.

 

Mit Nachdruck pocht Kretschmann darauf, keine Schirmherrin zu sein, vielmehr eindeutig eine Schirmfrau. Was man als solche macht? Naja, man hält den Schirm einfach drüber und gibt seinen Namen her, um viele Leute beizubringen. Schön, dass es einigen Leuten guttut, wo ich hingehe. Mit ihrem Mann zu reisen, betrachtet sie nicht als Muss, sondern als eine freiwillige Entscheidung. Bei Auslandsreisen, zum Beispiel nach Indien, verfolgt sie ihr eigenes Programm, das in aller Regel aus Krankenhaus- und Schulbesuchen besteht oder aus bestimmten sozialen Projekten, die mit deutschen Unterstützungsgeldern angestoßen wurden und finanziert werden. Als sehr berührend empfindet sie, wenn einem bettelarme Mütter ihre Kinder mit vielen Mangelerscheinungen zeigen.

 

Ob sie auch in der Welt der Schönen und Reichen präsent ist, will Karl-Anton Maucher wissen. Mit einem ungläubig wirkenden Unterton die Antwort der "First Lady", die sich auch als antisportlich geoutet hat: "Ajaa, schön sind wir doch alle". Vor nicht allzu lange Zeit hatte sie mit einem Krebsleiden an der Brust zu kämpfen. Zum Glück habe man es frühzeitig genug erkannt. Sie habe ganz und gar kein Geheimnis daraus gemacht. Auch ihre Mutter hatte diesen Krebs und verstarb daran.

 

Was die heutigen krisenhaften politischen Verhältnisse in der Welt betrifft, beruft sie sich auf ihren Winfried. Der hält die heutige Situation für unglaublich schwer. Während früher ein Problem nach dem anderen auftauchte, kämen heute vielerlei Probleme auf einmal. Schön, dass es immer wieder weitergeht. Oder haben wir wirklich Grund zu jammern? Sie erntet Sonderbeifall, als sie mit größtem Nachdruck feststellt: "Wir jammern, aber auf einem sehr, sehr hohen Niveau!"