31. Mai 2022

Fach- und sachkundig wiefe Talkerinnen

Der am gestrigen Montagabend stattgefundene 207. Talk im Bocksaal war mit kaum 60 Zuhörerinnen und Zuhörern nur mäßig besucht, wofür die Moderatorin eine "coronabedingte Trägheit" ins Feld führte. Wie die zum zweiten Mal moderierende Nina Poelchau mitteilte, feierte die Jazzband "Just Friends" mit gewohnt vorzüglicher Instrumentalmusik ihr 200. TiB-Jubiläum. Dafür gab es viel verdienten Beifall.

 

Zu Gast war die renommierte Traumatherapeutin und -forscherin Margarete "Maggie" Schauer, die als habilitierte Privatdozentin (PD) an der Universität Konstanz tätig ist und jahrzehntelang das Kompetenzzentrum "Psychotraumatologie" im Zentrum für Psychiatrie Reichenau leitete. Gegenwärtig organisiert sie im Projekt "Furchtlos" der Uni Konstanz und des Vereins "vivo international" psychologische Hilfen für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und für die, die sich um traumatisierte Flüchtlinge kümmern. Die Saalspende in Höhe von 734 Euro geht an den seit 20 Jahren tätigen Verein, der eine Welt "free of violence" (frei von Gewalt) anstrebt und traumatischen Stress zu überwinden versucht.

 

Da TiB-Moderatorin Poelchau ihrerseits selbst in Krisenintervention ausgebildet ist, entstand ein außergewöhnlich spannendes, weil sachkundiges Gespräch zwischen beiden sich duzenden Damen. Die sich sehr still verhaltenden Gäste lauschten gebannt und hochkonzentriert ihren Ausführungen zu dieser für Laien schwierigen Materie. Am Ende mündete der Talk in eine offene Diskussion mit reger Beteiligung verschiedener Besucher. So ergab sich eine außergewöhnlich lange Veranstaltungsdauer, in der die als eine in Deutschland führende Expertin Geltende stets sehr bereitwillig Rede und Antwort stand.

 

Im einleitenden Kurzfilm mit einem SWR-Interview äußerte sich PDin Schauer über ein 12-jähriges ukrainisches Mädchen, das über die ukrainisch-polnische Grenze geflohen ist. Wie kann ein so junger Mensch das verkraften? Schauer verwies darauf, dass sie die Mutter begleitet habe. Bei Unbegleiteten habe man viel größere Probleme. Bei jungen Mädchen vor allem die Angst vor sexuellen Übergriffen. Ganz wichtig ist in diesem Alter, wie die psychische Gesundheit der Eltern ist. Internationale Fachleute sind sich in der Annahme einig, dass in der Bevölkerung 12 bis 20 Prozent posttraumatische Belastungsstörungen bestehen. Das bedeutet, dass diese Kinder schon mit vortraumatisierten Eltern aufwachsen. "Kumulative Traumatisierungen sind tatsächlich schwierig". Kinder bräuchten besonders viel Unterstützung, wenn sich Traumatisierungen wie ein Baustein auf den anderen setzen.

 

Poelchaus Frage, welches Trauma so gefährlich ist, dass es Folgeschäden erwarten lässt, beantwortete die Konstanzer Expertin so: "Niemand wird von einem Erlebnis gebrochen. Wer das wird, war vorher schon psychisch belastet". Folgeschäden seien immer dann zu erwarten, wenn sich aus mehreren Ereignissen ein Netzwerk aufgebaut hat. "Wenn ich eine Vorgeschichte habe", zeigt sich Maggie Schauer sicher, "ist die Geburt schwieriger. Die Kinder haben dann große Beziehungsprobleme".

 

Auf die Flutopfer in Deutschland bezogen, äußerte der Gast aus Konstanz: "Diese Menschen müssen eine Riesenanpassung leisten, um zu verstehen, was passiert ist". Bei einer Vergewaltigung "kriege ich die von der Polizei ermittelten Fakten nicht mehr logisch zusammen". Die Leute müssten schon viel erleben, bis sich ein eches Störungsbild verfestigt".

 

Bezüglich ihrer eigenen Biogaphie verriet die Traumatologin, dass sie ein "Rettertyp" sei. So habe sie ursprünglich vorgehabt, Kinderkrankenschwester zu werden, später dann auch Notfallsanitäterin. Ihr ganz großer persönlicher Alptraum war der deutsche Holocaust, der einem einfach nähergeht. Der Alptraum "endete, als ich mit kleinen Kindern arbeitete".

 

Zum nächsten TiB am 27. Juni erwartet Moderator Karl-Anton Maucher in der Festhalle die Stuttgarter Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Sie ist Politkerin von Bündnis 90/Die Grünen.