28. März 2023

Gefühlvoll therapierender Rebell der Psychotherapie

Zu Beginn des Talks im Bock Nr. 213 ließ Moderator Joachim Rogosch seiner Freude darüber freien Lauf, dass der Bocksaal wie zu den Zeiten vor Corona wieder einmal mit 170 Leuten restlos voll besetzt war. Einigen vor dem Tor Stehenden musste sogar der Zugang verwehrt werden. Die Saalspende von 1.332 Euro geht nach dem Willen des Gastes Doktor Christian Peter Dogs (*1953), der aufgekratzt humorig talkte und damit eine Menge herzhafter Lacheffekte erzeugte, an die Freiwillige Feuerwehr in Lindau. Von Feuerwehren hält der Therapeut grundsätzlich ganz große Stücke, weil sie im Notfall schnell helfend zur Stelle sind.

 

"Dok" Dogs kritisiert, dass der Krankheitsbegriff bis heute wahrlich "inflationär" geworden ist. Man sei daran gewöhnt, dass bereits leichte Störungen als krank gelten und wenn zum Beispiel Schüchterne als krank betrachtet werden, werden allzu schnell gleich Therapien gefordert. Es sei ein Trugschluss, dass alle Therapien helfen. Dahinter, muss man wissen, steckt ein ganzer Industriezweig, der davon lebt. Seit den 60er Jahren, erinnert er sich, melden sich nach Ende einer Therapie zahlreiche Patienten ab, buchen aber sogleich schon für das nächste Jahr. Was für ein Humbug, wenn solche Art von Zeitgenossen wirklich kranken Menschen die bitter benötigten Klinikplätze wegnehmen! 

 

Im Unterschied zu einer sofortigen therapeutischen Behandlung glaubt der als Rebell angesehene Gast zunächst "sehr an eigene Ressourcen". Will heißen: "Erst mal schauen, was ich zunächst selbst tun kann" mit meinen eigenen persönlichen Ressourcen. Erst dann kommt für ihn eine Therapie in Frage. 

 

Sein Credo: "Wir alle brauchen Anerkennung, Wärme, Herzlichkeit. Wir sehnen uns danach. Man braucht Anerkennung von außen, um sich nach innen stabilisieren zu können". Dogs beklagt, dass unsere Gesellschaft unaufhörlich immer sensibler werde. "Viele Leute sind durch Therapie erst krank geworden". Er führte das Beispiel der Schulung von Managern an, die man darauf trimmt, "cool aufzutreten". Das hält er für nicht menschlich. Gefühle wie traurig sein, Ängste haben muss man zeigen dürfen. "Lasst uns Menschen bleiben" ruft er unter dem Beifall des Auditoriums aus, denn "alles andere sind Roboter". Trauer, Wut und Angst "sind nichts Schlechtes". Seine Art, unkonventionelle Methoden anzuwenden, hat ihm den Beinamen "Rebell der Psychotherapie" eingebracht.

 

Manch ein Zeitgenosse gehe gerne zum Arzt, sagte der gebürtige Niedersachse aus Goslar, denn "da interessiert sich wenigstens einer für mich". Ganz selbstverständlich sehnt man sich auch nach schönen Kliniken, denn "ach, da ist es so schön, dass ich nächstes Jahr wieder kommen will".

 

Auf den eigenen Werdegang rückblickend, offenbart der sympathische Gast: "Ich habe alles im Leben gemacht, was ich schrecklich finde, um darüber reden zu können". Wenn die Menschen das offen an- und aussprechen würden, was sie wirklich sehr bedrückt, bräuchten wir beileibe nicht so viele Therapeuten. Im Falle wirklich großer Probleme nicht darüber zu sprechen, gibt er sich sicher, "das macht krank". Viele der Patienten seien Privatversicherte, die immer länger in der Therapie in einer Klinik sind. Aber es sei falsch, zu glauben, dass eine lange Therapie besser als eine kurze ist. Und - so seine Überzeugung: "Junge Therapeuten sind mitnichten schlechter als erfahrene Berufskollegen".

 

In seiner Kindheit, gesteht Dr. Dogs völlig freimütig, habe er selbst schwere Traumata zu überwinden gehabt. So kann er mit Fug und Recht sagen: "Ich komme nicht aus dem Lehrfach, sondern aus dem Leben". Beide Elternteile seien Zeit ihres Lebens alkoholsüchtig gewesen und geblieben. Vor seiner Geburt hätten sie zwei Kinder abgetrieben. Sein Erzeuger lehnte ihn kategorisch ab mit der unsäglich potthässlichen Behauptung: "Den Richtigen haben sie weggeworfen, Du bist die Nachgeburt". Vater habe nicht gewollt, dass er geboren wird. Immer wieder habe er seinen Sohn des Nachts aus dem Bett geholt und per Rohrstock so heftig verprügelt, dass er am nächsten Morgen nicht in die Schule habe gehen können. Mutter sei erst um halbzwei aufgestanden, so lange sei sie betrunken gewesen. Sie habe ihn auch geschlagen, jedoch nicht so schwer wie er. Zur Erklärung des väterlichen Verhaltens: Er sei im Krieg in Stalingrad gewesen, wo er  traumatisiert wurde.

 

Der Gast erinnerte auch an seinen Aufenthalt im Heim. Weihnachten sei er nur zu zweit dort im "großen Schloss" gewesen. Die Direktorin hatte beide zum Essen eingeladen. Als sich ein Erzieher die Halsschlagader aufgeschnitten hatte, wurde er vergattert: "Ich musste schweigen. Keiner durfte erfahren, was Weihnachten passiert ist". Schweigen war auch im Alltag im Schlafsaal angesagt. Sprach dort aber doch einer, "mussten alle aufstehen und kriegten eine geknallt". Eineinhalb Jahre war Dogs heroinabhängig, weil ihn seine Freundin mit einem Freund betrog. Der Betrogene wurde in einem Keller auf Korsika in sechs Wochen in "kaltem Entzug von hoher Dosis auf Null gebracht". Das muss man erst einmal erlebt haben...

 

Vieles von seinen schrecklichen Erlebnissen scheint ihm verzeihbar. Gänzlich unverzeihlich aber ist für ihn lediglich eines: Der Missbrauch von Kindern.