20. November 2019

Vermeintlich unvermeidlicher Glücksbringer mit intellektuellem Anstrich

Der Zulauf zum 204. Talk im Bock, den Joachim Rogosch bemerkenswert gekonnt moderierte, war so groß, dass Zusatzbestuhlung nötig war, um die allermeisten der annähernd 500 Besucher auf einem Sitzplatz platzieren zu können. Entsprechend groß fiel die Saalspende mit 2.965 Euro aus. Vielleicht auch deshalb, weil der Gast mit charmantem Nachdruck an die sprichwörtlich ach so "große schwäbische Spendierfreudigkeit" appelliert hatte. Das Geld geht an die Flüchtlingshilfe in Bornheim, die mittellosen Flüchtlingen zur Linderung ihrer Not unter die Arme greift. Solche Hilfe empfinde man nach den Worten des Gastes Manfred Lütz als in sich sinnvoll, was den Helfern Glücksgefühle beschere.

 

Was Lütz als Autor des Buches "Unvermeidlich glücklich" mit Untertitel "Eine Psychologie des Gelingens" auf keinen Fall als wahres Glück betrachtet, ist materielle Habe wie zum Beispiel schönes Haus, tolles Auto, hohes Einkommen usw. Den Lesern seines Buches empfiehlt er nicht irgendwelche Methoden, sondern beim Lesen mit ihm nachzudenken. So werde der Leser schnell erkennen, dass der Buchtitel ironisch gemeint ist und sich gegen all jene Zeitgenossen richtet, die meinen, man müsse sich nur einem der vielen Ratgeber anvertrauen, dann werde man sein Ziel des Glücklichseins schon erreichen.

 

Von Moderator Rogosch gefragt, wer als Manfred Lütz heute nach Leutkirch gekommen sei, der Theologe, der Mediziner, der Autor oder der Psychiater, schlägt der 1954 in Bonn geborene Rheinländer mit ausgeprägter Frohnatur jedes dieser Angebote in den Wind und antwortet: "Ich glaube der Mensch Lütz". "Mich hat die Gottesfrage, die Frage nach Gott immer schon bewegt. Stimmlich markig und sehr eloquent verrät er, dass ihm in den jungen Jahren seiner Kindheit sein zweiter Vorname Maria "immer sehr peinlich war". Damals erst vierzehnjährig, hatte er 1968 mit den Achtundsechzigern nichts am Hut, sei "für nix auf die Straße gegangen".

 

Auf seinen medizinischen Beruf bildet sich Lütz nichts ein. Im Studium müsse man lediglich Fakten büffelnd auswendig lernen, gibt er humorig trocken von sich. "Das kann auch jeder geistig Behinderte". Noch größeres Gelächter löst er aus, als er mit beachtlichem kabarettistischen Geschick als konkretes Beispiel für Glück eine "stabile Ehe" nennt, in der "Mann halt tut, was Frau sagt". Oft stößt er selbst so lautstarke brünftige Lacher aus, dass sie sich wie das Meckern eines Ziegenbocks anhören.

 

Von Rogosch persönlich mit der Frage zur Rede gestellt "Wann waren Sie zuletzt so richtig glücklich"? kam, wenn auch mit Verzögerungseffekt, Lütz' Antwort doch noch: "Das weiß ich nicht". Dann holte er weiter aus. Psychologen würden sagen, dass Jammern gesellig mache. Den Jammerern Oberschwabens schrieb er die Eigenschaft zu, den Trick rauszuhaben, unglücklich zu werden. "Ohja, das ist gut" befindet er dazu. In psychiatrischen Kliniken, so seine Erfahrung, bestimme der Patient das Ziel. Nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen "helfen wir ihm dann, das Ziel zu erreichen".

 

Als Theologe, Psychiater, Psychotherapeut, Vatikanberater und Buchautor spricht sich Lütz für die Trennung von Psychiatrie und Seelsorge aus, wobei er Seelsorge für wichtiger erachtet: "Wenn ich ein existenzielles Problem habe, ist Beichte besser als Psychiatrie". Die Beichte gegenüber einem Beichtvater wirke "unglaublich entlastend".

 

In Erinnerung an einen sehr hochbetagten KZ-Überlebenden schrieb er dem Auditorium ganz ernsthaft ins Stammbuch: "Denk daran: In jedem Menschen ist ein göttlicher Funke", der Wunder wirken könne. Dieser Gedanke sei es gewesen, der den heute noch Lebenden damals habe überleben lassen. Ein SS-Mann habe ihn zur Seite genommen und an einen Tisch geführt, wo er Salami für ihn aufschnitt. Danach sagte er ihm "Geh jetzt!" So habe er im Gegensatz zu seinen Mitleidenden überlebt.

 

Über Advents-, Weihnachts-, Faschings- und Fastenzeit hinweg tritt jetzt bis zum nächsten TiB am 30. März 2020 leider eine sehr lange Durststrecke ein. Dann kommt Monika Metternich in den Bocksaal und talkt zum Thema "Vornehm geht die Welt zugrunde".