Der als Moderator kurzfristig eingesprungene Joachim Rogosch verwies anfangs darauf, dass der Talk im Bocksaal mit Ravensburgs Polizeipräsident Uwe Stürmer die 212. Veranstaltung der Gesprächsreihe ist. Und dass die Jazz-Combo Just Friends zum 212. Mal ihre stimmungsvoll dezente Begleitmusik dazu liefert. Hut ab! Die Saalspende der rund hundert Besucher erbrachte 821,10 Euro und einen Vierteldollar. Nach dem Willen des Gastes geht das Geld an einen seiner Kollegen im Bodenseekreis, dessen Haus in der Silvesternacht in Flammen aufging.
Der 1962 in Berlin, Hauptstadt der DDR, im ersten Jahr nach dem Mauerbau vom 13. August 1961 zur Welt gekommene "Ossi" gelangte als viermonatiges Baby durch einen 135 Meter langen Tunnel in die Freiheit des Westens, was er erst im zarten Knabenalter von sieben Jahren realisierte. Vater hatte per Bolzenschneider den Stacheldraht durchlocht und gelangte durch das Loch zunächst alleine in den Westen. Die mit den Kindern zurückbleibende Mutter wurde festgenommen, inhaftiert und erst nach fünfeinhalb Monaten freigelassen. Vater beteiligte sich beim Graben von Tunnel 29 an der Bernauer Straße, durch den 29 Republikflüchtlinge den Weg in das Licht der Freiheit fanden. Darunter auch "Tunnel-Baby" Uwe in mütterlichen Armen. Später wurde sie von Willy Brandt im Roten Rathaus empfangen.
Zur Zeit der Ostverträge fuhr Uwe als Zehnjähriger erstmals wieder rüber. Erst nach dem Mauerfall im November 89 nahmen sich die Medien der Sache an. Der Mauerfall war für ihn eine "große emotionale Sache". Von Moderator Rogosch gefragt, ob Polizist zu werden etwas damit zu tun habe, verneint der Gast. Vater war auf Polizisten ohnehin nicht gut zu sprechen und Mutter stellte sich ihren Sohn als Banker vor.
Auf den sich einst als "fortschrittlicher Teil Deutschlands" brüstenden Arbeiter- und Bauernstaat hält der heutige Polizeipräsident einleuchtender Weise noch immer denkbar wenig. Er brandmarkt scharf die unzähligen Menschenrechtsverletzungen und spricht von "absoluter Rechtlosigkeit". "Auf Leute zu schießen, die nichts anderes wollen als das Land zu verlassen", das ist für ihn schreiendes "blankes Unrecht".
Nach den Voraussetzungen gefragt, die angehende Polizisten mitbringen sollten, äußert sich Stürmer zunächst negativ: "Wenn Kollegen Uniform anziehen, um Macht zu demonstrieren, dann liegen sie falsch". Ganz wichtig ist für ihn jedoch, das sie was im Köpfchen haben. 80 Prozent der heutigen Anwärter seien Abiturienten.
Der Gedanke, vielleicht einmal in Berlin als polizeilicher Präsident zu wirken, gesteht Stürmer, der sei ihm noch nie gekommen. Zwar gehe er ab und an schon gerne Mal in den Moloch, "viel lieber jedoch wieder zurück". Ob seine Familie Angst um ihn habe das "weiß er nicht so genau". Und dass die Presse oftmals so gepolt ist, dass mit antipolizeilichem Zungenschlag über "Freund und Helfer" geschrieben wird, das kommentiert der Präsident und seit 2020 Leiter des Polizeipräsidium Ravensburg mit Gleichmut: "Hm, ja, damit muss man eben leben".
Als polizeiliche Hauptaufgaben nennt Stürmer neben Gefahrenabwehr auch Prävention, um Straftaten erst gar nicht entstehen zu lassen, also zu verhindern. Polizei alleine kann Prävention nicht ausreichend leisten. Dazu sei größeres Engagement, zum Beispiel in Schulen vonnöten, wo Themen wie Drogen, Ladendiebstahl oder Radlerverhalten im Straßenverkehr deutlich größeres Gewicht bekommen sollten.
Fest davon überzeugt, kann Polizei alleine auch kaum Sicherheit garantieren. Dazu bedarf es der bürgerlichen und gesellschaftlichen Unterstützung. Das wiederum setzt eine ganz wesentliche menschliche Tugend voraus: Zivilcourage!