13. August 2024

Zweifacher "flotter Dreier"

Der vor rund 200 Besuchern gestern Abend bei allerbestem Sommerwetter vor'm Bock über die Gänsbühl-Bühne gegangene Sommertalk Nr. 222 bot, wenn man so will, gleich in doppelter Ausführung einen "flotten Dreier". Bei den drei Moderatoren Poelchau, Maucher und Rogosch. Und bei den drei talkenden Gästen Christiane Fladt, Cordian Riener und Elisabeth Sauterleute. In der Summe also ausgeglichen mit jeweils drei Damen und drei Herren. In die Spendenkasse flossen 1435, 90 Euro. Sie sind für ein ehrgeiziges Kunstprojekt vorgesehen. An verschiedenen Orten sollen damit Malräume für geflüchtete Kinder entstehen und finanziert werden.

 

Als die ehemailige Leutkircher Gymnasiallehrerin Christiane Fladt im Jahr 2011 schon einmal im Bocksaal talkte, lautete das damailige Thema "Shimsal mon amour". Damals galten die großen Aktivitäten der Weltreisenden, Autorin, Alpinistin, Berg- und Marathonläuferin jenem im nordpakistanischen Hochgebirge nahe der Grenze zu China abgelegenen Ort namens Shimsal, der lediglich über Trampelpfade erreichbar war. Dort leistete Fladt jahrelang wertvolle Entwicklungs- und Aufbauarbeit. Heute, so berichtete sie gestern, gebe es dort sogar Internet. Solche Zeiten sind unwiderbringlich endgültig vorbei, denn 2015 brach ihre Gesundheit regelrecht zusammen. Vor lauter Schmerzen bewusstlos wurde sie von Wangen ins Klinikum nach Augsburg verlegt. Die am 1. Tag vollzogene achtstündige Operation musste sogar fortgesetzt werden. Weil beide Nieren nicht gut mit Blut versorgt wurden, versagten sie ihren Dienst. Wegen diesen Organversagens begann ab sofort die Zeit der Dialysen, dreimal wöchentlich. Zur Zeit der Dialysen erklomm sie siebzigmal den Hochgrat bei Oberstaufen, was in der Summe 70.000 Höhenmeter ergibt. Dialysen können allerdings keine Niere ersetzen. Vor genau drei Jahren ging es zur Transplantation wieder nach Augsburg ins dortige Klinikum. Ihre neue Niere wurde aus Kroatien eingeflogen. Dorthin schreibt sie jedes Jahr einen Dankesbrief. Heute gehe es ihr wunderbar, sagt sie, weil "eine neue Niere neues Leben" bedeute. In ihrem neuen Leben fühle sich Fladt "pumperlgsund", auch wenn ihr Immunsystem ab und an ein bisschen schwächelt. Warum gerade ich? Nina Pölchaus Gedanken verwirft Fladt: "Solcher Gedanke liegt mir völlig fern". Stattdessen gibt sie sich überzeugt, dass es "eigentlich gut so" war, denn alles sei jetzt in Ordnung. Als ihr ganz großes Anliegen äußerte Fladt, dass die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland kräftig angekurbelt werden muss. Großen herzlichen Applaus erntet sie, nachdem sie zwei berührende lyrische Texte von Goethe und von Eichendorff (Wem Gott will rechte Gunst erweisen) sehr gekonnt rezitiert hat. 

 

Den Talk mit dem im nordnorwegischen Tromsö nahe der russischen Grenze als Professor tätigen "Mister Mathematikus" Cordian Riener moderierte der einst mathematisch mittelprächtige (Note 3 bis 4) Karl-Anton Maucher. Der in Memmingen geborene, in Leutkirch aufgewachsene einstige Schüler des Multscher-Gymnasiums machte sein Abitur am Salvatorkolleg in Bad Wurzach, bevor er eine wissenschaftliche Top-Karriere startete. Der Ruf an die nördlichste Universität der Welt (69 Grad nördliche Breite) jenseits des nördlichen Polarkreises ereilte ihn im Jahr 2018. Leutkirch rühmte er als "kleine Großstadt, die Großes schafft", nämlich 222 Talk im Bock-Veranstaltungen. "So viel Engagement", schwärmt er, "echt schön". Die überragende Sinnhaftigkeit der Rechenkünste seines Faches dokumentierte er damit, dass Mathematik 2.500 Jahre alt ist. Heute weist das Fach den Weg in moderne neue Techniken, wie zum Beispiel in die um sich greifende Digitalisierung. Deutschland sei in dieser Hinsicht im Unterschied zu den Japanern nicht sonderlich gut aufgestellt. An der Welt nördlichster Universität betrachtet er es als sein großes Anliegen, die Mathematik klarer und verständlicher zu machen. Früher einmal war die Welt für ihn Richtung Norden an der Donau, dann am Main zu Ende und schließlich an der Nordsee, wo die Fischköpfe dahoim sind. Von Maucher gefragt, was das Leben eines Leutkirchers jenseits des Polarkreises präge, sagt Riener: "Schwäbisch als erste Fremdsprache, Interesse an den  Mitmenschen, offen auf sie zugehen. So lerne man in einer anderen Kultur zu realisieren, "wie man eigentlich selbst ist". Acht Wochen lang pro Jahr in der Dunkelheit der Polarnacht leben, zieht es einen da nicht wieder zurück in die Heimat? Riener verweist auf das von Fladt vorgetragene Eichendorff-Gedicht und antwortet dann: "Ja, irgendwann wieder nach Deutschlnd zurück, wenn ich mal in Rente bin".

 

Die dritte und letzte künstlerische Talkrunde vollzog Moderator Joachim Rogosch mit der Gallionsfigur Elisabeth Sauterleute, Begründerin und Leiterin der gleichnamigen Kunstschule vor 20 Jahren. Aus dem in der Leutkircher "Metrolpolregion" liegenden Gebratshofen stammend, äußerte sie Genugtuung darüber, in diesem "Biotop, frei und geborgen lebend, aufgewachsen zu sein". Ihre Kindheit nennt sie "Spiel ohne Grenzen". Solches Leben habe auch ihre Entwicklung zur Kunst beflügelt. Ihr Vater war Schmiedemeister, ihre Mutter Hausfrau. Von Mutter sei ihre Kreativität für die "Kunscht" gekommen, erklärt die mundartlich gut schwäbisch bewanderte Künstlerin. Kunst ist für sie weitaus mehr als Selbstverwirklichung. Zum Anmelden in der Kunstschule Sauterleute sollten die Kinder vor allem eins mitbringen: "Luscht". Die Themen werden von Seiten der Schüler aufgenommen. Alle Altersstufen integrierend, werden sie über Wochen, mitunter auch Monate bearbeitet. Der Zugang in die Kunstschule werde niederschwellig gehalten, später aber wird mit hohen Ansprüchen gearbeitet. Rogoschs Frage, ob Kunst vom Bildungsbürgertum lebe, wurde nicht eindeutig klar beantwortet. Was auffällt, ist, dass neuerdings vor allem viele jüngere Kinder kämen als früher. Kunst kann heute auch mit Kunsttherapie heilsam wirken, wie beispielsweise in Dresden zu sehen ist.