28. März 2011

Joachim Gauck

Ex-Stasi-Beauftragter und Autor

Der Fast-Präsident

Versöhner, Mahner, Moralist

Erst war es eine politische Sensation, der folgte ein politisches Erdbeben: Nach dem Rückritt des Bundespräsideten Horst Köhler im Juni 2010  nominierte Rot-Grün völlig überraschend Joachim Gauck als Kandidaten. Die Medien überschlugen sich. Endlich ein Mensch nicht aus dem politischen Establishment, sondern ein Quereinsteiger. Ein Mann, der in seinen (Bewerbungs-) Reden der Politik einen neuen moralischen Anspruch zu geben versprach, der unbequem, aber doch konsequent sein und sich nicht von einer bestimmten Richtung vereinahmen lassen wollte.  Einen solchen Hype um einen Kandidaten für das höchste Staatsamt hatte dieses Land noch nicht erlebt, und wenn am Ende auch Christian Wulff das Rennen machte, so hatte doch Gauck landesweit neues Interesse an der Politik entfacht. Ein Mann mit Charisma, der „Präsident der Herzen“, wie ein Springer-Blatt schrieb.
Dabei war sein Name vorher jahrelang nur mit der großen, die DDR-Vergangenheit aufarbeitenden Behörde verbunden gewesen, der Gauck-Behörde. Er war Leiter jener Institution, die die Akten der Stasi gesichtet und den Opfern zugänglich gemacht hat. Nach dem Namen seiner Nachfolgerin nennt man diese Institution heute allenthalben: die Birthler-Behörde. Korrekt lautet der Leitungstitel: Bundesbeauftragte(r) für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. Gauck ist es zehn Jahre lang gewesen - von der Gründung bis zum Jahr 2000.
Im Jahr 1940 in Rostock geboren, arbeitet Gauck später als Pastor im Kreis Güstrow und in Rostock-Elvershagen. Er wird Stadtjugendpfarrer und organisiert Kirchentage in Mecklenburg. Gauck ist auch deshalb den staatlichen Behörden stets ein Dorn im Auge. Er setzt sich für politische Missliebige ein, für junge Menschen und baut um sich herum eine große Gemeinde auf. Es kommt ihm aber nie in den Sinn:  die DDR, wie viele andere, zu verlassen. Doch dann der Schock für ihn und seine Ehefrau: Drei seiner vier Kinder entschließen sich, in die Bundesrepublik überzusiedeln. Eigentlich, so Gauck heute, hätten die Eltern damit rechnen müssen, dass die Kinder die Freiheit wählen würden, die ihnen stets als Gegenentwurf zur DDR geschildert worden war.
Eine weitere Zäsur: der Zusammenbruch der DDR, die friedliche Revolution. Durch die Ereignisse im Jahr 1989, aber schon vor der Wende, wächst Gauck Schritt für Schritt in eine politische Rolle hinein. Schon bald gehört er zu den Initiatoren des Stasiunterlagengesetzes. Am Tag der deutschen Einheit, am 3. Oktober 1990, beginnt er seine Arbeit als Sonderbeauftragter für die Stasi-Akten. Er baut eine Behörde mit über 2000 Mitarbeitern auf, die sich um eine gigantische Hinterlassenschaft kümmern muss: 204 km Akten, 6 Millionen Personendossiers, Operativpläne, Fotos, Filme, Tonbänder und sogar Geruchsproben.
Über diese Zeiten, die die Welt verändert haben, hat Joachim Gauck beim „Talk im Bock“ ebenso wie über die Allmacht von Partei und Staat in der DDR gesprochen; er hat, eine allseits anerkannte moralische Instanz in diesem Land, Stellung bezogen zu seinem Kampf gegen die Verklärung des Unrechtsstaates DDR; er hat aber natürlich auch die jüngste Vergangenheit beleuchtet und seine Motivation für die – letztlich gescheiterte – Kandidatur für das Bundespräsidentenamt. – Musik: Just Friends; Eintritt: frei.


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