13. September 2004

Pierre Boom

Fotograf und Autor

Der Sohn des Spions

Der Sohn des Spions

Der Fall Guillaume hat die Republik erschüttert, politisch und menschlich. Aber darüber hinaus hat er seinerzeit auch eine Familie zerstört - die Familie des Mannes, der heute Pierre Boom heißt (nach dem Mädchennamen seiner Mutter), aber damals, als alles passierte, noch den Nachnamen Guillaume trug. - Rückblende:Am 24. April 1974 um 6.32 Uhr wird Pierre Guillaume, gerade 17 geworden, schlagartig erwachsen. Mehr als ein Dutzend BKA-Beamte stehen plötzlich im Flur der elterlichen Wohnung und verhaften seine Eltern. In der Gefühlswelt des jungen Mannes wechseln Unglaube und Fassungslosigkeit einander ab. Sein Vater ein DDR-Spion? Unmöglich! Waren seine Eltern und er doch vor kurzem noch gemeinsam mit der Familie des Bundeskanzlers in Norwegen in Urlaub. Der "Fall Guillaume" zieht weite Kreise. Folge: der Kanzlersturz - Willy Brandt tritt zurück.Gern hätte Pierre seinen Vater nach Motiven gefragt, nach den psychischen Belastungen dieser zwei Jahrzehnte währenden Doppelexistenz. Und auch, welche Rolle er selbst unbewusst dabei gespielt hat, die Legende für eine beispielhaften Kleinfamilie aufzubauen. Doch bei den Besuchen im Gefängnis darf über nichts gesprochen werden, was mit dem Fall zu tun hatte. Nicht selten bleibt nur die Spekulation.Als Günter und Christel Guillaume am 15. Dezember 1975 zu 13 und 8 Jahren Haft verurteilt werden, ist Pierre bereits nach Ost-Berlin übersiedelt - in die für ihn völlig fremde Heimat seiner Eltern. Sechs Jahre lang ist er gezwungen, sich einen eigenen Reim auf seine Fragen zu machen. Als am 1. Oktober 1981 zuletzt auch Günter Guillaume ausgetauscht wird, hofft der Sohn, endlich den wahren Vater kennen zu lernen. Doch ein Treffen mit ihm hinterlässt nur Frust, Enttäuschung und Schmerzen.Wie Pierre Boom versucht hat und versucht, die eigene und die Familiengeschichte aufzuarbeiten, ob es für ihn noch heute eine Belastung ist, Sohn des Kanzler-Spions zu sein, und welche persönliche und historische Dimension der Fall heute für ihn hat, darüber sprach er mit Bernd Dassel am 13. September im Bocksaal.