02. November 2015

Urs M. Fiechtner

Autor und Friedensaktivist

Wenn Grausamkeit plötzlich ein Gesicht bekommt

Wenn Menschen aufhören, welche zu sein

Mit jedem Flüchtlingsboot, das die Küsten Europas - wenn überhaupt - erreicht, betritt mindestens ein Mann oder eine Frau sicheren Boden, der oder die in der Heimat geschlagen, gequält oder gar gefoltert wurde. Manche dieser traumatisierten Flüchtlinge, die wohl nie mehr Vertrauen zu anderen Menschen werden fassen können, landen über Umwege beim Zentrum für Folteropfer Ulm e.V. dessen Mitbegründer Urs M. Fiechtner im November zu Talk im Bock kommt. Der Schriftsteller und im wahrsten Sinne des Wortes Lebenskünstler beschreibt sein Engagement für die durch und durch unterstützungswürdige Einrichtung wie folgt: "In Deutschland redet man gerne und viel über die Folgen von Unrecht und Gewalt, von Folter und Krieg. Das ist auch gut so. Aber noch besser ist es, bei den gut gemeinten Reden nicht stehen zu bleiben, sondern zu handeln, die Ärmel hochzukrempeln und zu helfen, wo die Not groß ist. Dies geschieht im Ulmer Behandlungszentrum an jedem Tag und es geschieht ganz ohne große Reden, ohne Aufhebens und ohne Medienlärm - und es geschieht erfolgreich." Fiechtner kennt die Menschen und deren Geschichten, die Therapeuten und das ganze Drama, das sich hinter Schlagworten wie "Flüchtlingsdrama" oder "Asylverfahren" versteckt. Fiechtner ist aber nicht nur Friedensaktivist und zumindest nebenberuflicher Träumer von einer besseren Welt - er ist auch sonst ein außerordentlich bunter Vogel. Geboren 1955 in Bonn wuchs Fiechtner zunächst in Chile heran, spielte dort auf Kindergeburtstagen Sackhüpfen mit Offizieren, die später in Zeiten der Diktatur zu Kommandeuren von Folterzentren avancieren sollten, und legte sich im Alter von sieben Jahren darauf fest, später "entweder Schriftsteller oder Indianer zu werden". Das mit dem Indianer hat nicht geklappt. Stattdessen flog er zurück in die Bundesrepublik, flog in den nächsten Jahren in kurzen Abständen von mehreren Schulen, machte seinen Zivildienst, gründete 1976 die interkulturelle autorengruppe79 und gab mit 21 Jahren sein erstes Buch heraus: eine Lyrikanthologie über Freiheit und Zivilcourage. Seitdem sind zahlreiche Lyrik- und Prosabände erschienen, viele davon in Zusammenarbeit mit Sergio Vesely oder anderen Mitarbeitern der Autorengruppe. Was seine eigene Geschichte mit der von heutigen Flüchtlingen aus Kriegsgebieten zu tun hat, welche Erlebnisse ihn selbst nachts nicht mehr loslassen, und wie es sich lebt als Lyriker in einer Zeit, in der doch kein Mensch mehr Zeit für anspruchsvolle Literatur hat - über all das hat Urs M. Fiechtner beim 169. Talk im Bock im Leutkircher Bocksaal berichtet.


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